Thomas Hübl hielt im Dezember 2019 Vorträge an der Harvard Medical School und am Martinos Center for Biomedical Imaging, in Boston, Massachusetts, USA.
„Eines der wichtigsten Elemente der Heilung ist die Beziehung. In der heilenden Beziehung schaffe ich eine Art Beziehungswärme und eine annehmende Weite, die es den Menschen ermöglicht, wirklich bei mir anzukommen. Sie werden ernst genommen als Partner im Gespräch über ihre Gesundheit. Wenn ich in einem Gesundheitsberuf arbeite, ist es Voraussetzung, dass ich ein gewisses Maß an ‚Verantwortlichkeit‘ habe, im Sinne von wirklich eine Antwort geben zu können. Denn wenn ich reaktiv bin, agiere ich nicht, sondern re-agiere nur.“
Die Menschen, die in unseren Gesundheitssystemen arbeiten und Dienstleistungen anbieten, haben dringend Unterstützung nötig. Thomas präsentierte seine Erkenntnisse darüber, wie wir die fragmentierten Teile von uns selbst, und unseren Systemen in eine tiefere Integration bringen können. An diesem regnerischen Tag Anfang Dezember kamen etwa 80 Studenten, Mitarbeiter und Dozenten zu einem Vortrag in die Harvard Medical School mit Thomas und Dr. Bala Subramaniam, einem außerordentlichen Professor der Medizin und Direktor des Center for Anesthesia Research Excellence am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston.
In den letzten drei Jahren hat Dr. Subramaniam die neurophysiologischen Auswirkungen von Meditation untersucht, die von Patienten vor und nach Operationen praktiziert wurde. Er machte sozialwissenschaftliche Forschungen zur Rolle von Meditation bei der Unterstützung von Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern, und bietet Meditationsworkshops für Gesundheitsdienstleister in den USA und in Indien an. Dr. Subramaniam sagte zu Thomas: „Ich bin beeindruckt davon, von welcher Ebene aus Sie kollektive Traumata und gesellschaftliche Zusammenhänge betrachten, und sich um deren größte Probleme kümmern. Diesen großen Elefanten im Raum, den niemand so recht in den Blick nehmen will, wie zum Beispiel das deutsch-jüdische Problem, oder ein anderes kollektives Trauma. Zum Beispiel die Besatzung in Indien – jetzt kommen die Menschen bewusstseinsmäßig gerade aus der Besatzung und der Sklaverei heraus und versuchen, eine andere Denkweise zu entwickeln“.
Mehr als 5.000 Menschen aus der ganzen Welt nahmen per Livestream an dem Vortrag teil. Kommentare und Fragen kamen unter anderem aus Indien, Deutschland, Mexiko und Hongkong. Nach einer Woche hatten mehr als 20.000 Menschen den Vortrag gesehen.
Auf eine Frage zu seiner Arbeit mit gesellschaftlichen Großgruppen antwortete Thomas: „Individuelle (Trauma-)Arbeit ist sehr wichtig, und das muss weitergehen. Aber ich denke, wir brauchen größere Container, weil wir so viele kollektive Narben auf der ganzen Welt haben“.
Nach Ende des Vortrags warteten mehrere Leute darauf, mit Thomas zu sprechen, um Methoden zu diskutieren, die die Heilung von kollektiven Traumata fördern.
Später am Tag sprach Thomas im „Martinos Center for Biomedical Imaging“, einem mit Harvard verbundenen Institut für Bildgebende Verfahren am „Massachusetts General Hospital“. Etwa 100 Wissenschaftler und Postdocs waren da, um seinen Vortrag „Trauma verstehen und heilen – Vom Individuum zum Kollektiv“ zu hören. Thomas eröffnete einen Dialog über die Zukunft der bildgebenden Verfahren des Gehirns: Wird es eines Tages möglich sein, die Erfahrung kollektiver Traumata in unserem Gehirn abzubilden? Wie können wir Scanning-Technologien nutzen, um Beziehungskapazitäten, wie sie sich in unserer Neurobiologie manifestieren, zu erklären?
Normalerweise referieren in diesem Rahmen nur Angehörige der Harvard-Fakultät. Die Vorträge von Thomas eröffneten jetzt den Raum, um auch die Auswirkungen von kollektiven Traumata auf unser Gesundheitssystem zu diskutieren. Sie beförderten ebenfalls das dringend nötige Gespräch darüber, wie man Burnout bei Ärzten und Pflegekräften verhindern kann, und wie man unsere medizinischen Bildungssysteme verbessern kann, indem bewusstseinsbasierte und beziehungsorientierte Methoden einbezogen werden.
Hier ist die Aufzeichnung des Talks in der Harvard Medical School (auf Englisch):