THOMAS HÜBL

Wie schaffen wir mehr Demokratie?

Das Gespräch ist die Seele der Demokratie.

Hier stellen wir die Initiative Mehr Demokratie e.V. vor, die sich für die Weiterentwicklung der Demokratie in Deutschland und Europa einsetzt. Es ist die größte Bewegung dieser Art weltweit, und ist daher von exemplarischer Bedeutung auch für andere Länder.

Vortstand Mehr Demokratie e.V.
Vorstand Mehr Demokratie e.V.

Der Verein arbeitet seit Jahrzehnten für demokratische Reformen und mehr Transparenz. Durch Kampagnen, Volksbegehren und Gespräche mit Politikerinnen und Politikern wurde direkte Demokratie in allen Bundesländern Deutschlands ausgebaut oder überhaupt erst eingeführt. Ein aktuelles großes Projekt sind Bürgerräte, deren Teilnehmer durch ein Losverfahren bestimmt werden, und in denen neue Formen der Kommunikation über politische Themen praktiziert werden.

Die Krise der Demokratie

Mehr Demokratie Forsc hungsbericht 01Die Welt um uns ist zerstritten, gespalten und in Lager zerteilt. Mobbing, Konkurrenz und Schuldzuweisungen. Parteien schotten sich voneinander ab und reden nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander. Es wird sich lediglich mit seinesgleichen umgeben. Kaum ein Linker spricht mit einem Rechtskonservativen, geschweige denn einem Rechten. Und auch nicht umgekehrt. Gleichzeitig vereinsamen immer mehr Menschen. Sie sind innerlich heimatlos und ohne emotionalen Halt.

Währenddessen türmen sich die Probleme. Auswirkungen der Pandemie, Klimawandel, Umbrüche im Wirtschafts- und Finanzsystem, Mikroplastik in allen Organismen, Artensterben, Umweltverschmutzung. Die Kluft zwischen arm und reich in unseren Gesellschaften, und zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden wird größer, um nur einiges zu benennen. Oben drauf kommt der Krieg in der Ukraine, der uns bis ins Mark erschüttert und unsere Gewissheiten zerbröseln lässt.

Mehr Demokratie - Aktion
Mehr Demokratie – Aktion

Von einigen Seiten wird sogar die Demokratie selbst infrage gestellt. Sind demokratische Entscheidungsprozesse noch angemessen, um auf akute Krisen, vor allem den Klimawandel, schnell und effektiv zu reagieren? Man kann es auch andersherum betrachten. Eine Politik, die den ökologischen Horizont weiter verengt, gefährdet die Demokratie.

“Werden Einsparungen heute vertagt, müssen sie morgen umso drastischer ausfallen. Was die Politik heute nicht unternimmt, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, wird später nicht mehr mit schrittweiser Politik aufzuholen sein, sondern nur noch mit brachialem Vorgehen. Mit anderen Worten: Das Versagen heutiger Politik wird morgen als Ökodiktatur quittiert. Wer dem entkommen will, muss auf demokratische Lösungen setzen. Mutige Klimapolitik wird nur mit den Menschen gelingen.” Roman Huber, Mehr Demokratie e.V.

Mehr Demokratie Forschungsbericht 02Die Idee der Demokratie ist, dass jeder Mensch Entscheidungen, die ihn betreffen, auch beeinflussen können muss. Wird dies ignoriert und konkreter Klimaschutz allein ‘von oben’ beschlossen, oder eine von mehreren möglichen Herangehensweisen als ‘alternativlos’ dargestellt, besteht die Gefahr, dass der Klimaschutz als Ganzes abgelehnt wird.

Wissen, Rationalität, Gefühle und Trauma

Ja, wir haben auch wenig Zeit und das Leben wird immer schneller. Denn wir leben in einem Wirtschaftssystem, das aus seiner inneren Dynamik heraus wachsen muss, nur um den Status Quo zu halten. Allein dadurch beschleunigt sich die Welt. Deswegen braucht es aus der Sicht von Mehr Demokratie mehr “Psychologie” in der Gesellschaft und in der Politik, im Sinne von mehr Wissen um die Seele des Menschen (Psyche altgriechisch ‚Seele, Schmetterling’). Politik wird immer von und für Menschen gemacht. Daher ist jede politische Entscheidung, jedes politische Handeln auch von Emotionen und den tiefer liegenden Schichten der Akteure motiviert und geprägt, meist unreflektiert und vielfach unbewußt. Unsere Art und Weise zu denken, Schlüsse zu ziehen, ist durch unsere kulturelle Sozialisierung und die Erfahrungen der Vergangenheit beeinflusst.

Demokratie hängt davon ab, alle Menschen beinhalten zu können.

Mehr Demokratie Forschungsbericht 03Wir sind selbst Teil des Problems, wir sind nicht getrennt. Schuld sind nicht “die Anderen”. Stattdessen sollten wir uns selbst hinterfragen, auch unsere Meinungsblasen. Spaltung entsteht nicht da draußen, sondern auch in und durch uns.

In ihrer langjährigen Arbeit stießen die Aktiven von Mehr Demokratie immer wieder an unsichtbare Grenzen, wo nichts weiterzugehen schien. Die Gründe dafür sind mit den herkömmlichen politischen Erklärungsansätzen kaum zu erfassen.

“Das Politikgeschehen wird viel weniger durch Rationalität bestimmt, als wir annehmen. Auch unsere persönlichen Überzeugungen sind irrationaler, als wir glauben. Emotionen, nicht philosophische Überlegungen prägen unsere Werte. Deswegen beziehen wir weitere Dimensionen des Menschseins mit ein. Kaum im Bewusstsein ist die unter allem liegende unbewusste Traumaschicht. Sie besteht aus individuellen und sozialen Traumastrukturen, die uns alle betreffen. Sie beeinflussen Gesellschaft wie Politik und haben einen entscheidenden, aber unsichtbaren Anteil an unseren Krisen. Erst wenn wir uns aller, auch der teils unbewussten Einflüsse bewusst werden, kann ein wirklich innovativer Dialog entstehen”, so Roman Huber.

An dieser Stelle begegnen sich die Arbeit von Mehr Demokratie und dem Pocket Projekt.

Mehr Demokratie Forschungsbericht 04“Egal wie privat oder persönlich es erscheinen mag, Trauma gehört nicht ausschließlich zu einer Einzelperson, zu einer Familie, und auch nicht zu einer einzelnen Ahnenreihe. Die Folgen von Trauma sickern ein in Gemeinschaften, in Gesellschaften, in ganze Regionen und Nationen.” Thomas Hübl

Die Beschäftigung mit Trauma und kollektivem Trauma ist seit Jahren Schwerpunkt der Arbeit von Thomas. Dies entwickelte sich organisch aus der intensiven Arbeit mit Großgruppen. Wird ein kohärenter Gruppenraum geschaffen, in dem sich die Teilnehmenden angenommen und sicher fühlen, beginnt eine Art “Entgiftungsprozess“. Unverarbeitete Konflikte treten an die Oberfläche, drängen zur Lösung und zur Heilung. Dies kann chaotische Formen annehmen und zunächst wie eine Art Rückentwicklung im Prozess aussehen, ist aber insgesamt ein Durchgangsstadium zu einem bewussteren Zustand.

Ähnliche Prozesse finden auch gesamtgesellschaftlich statt – siehe den Podcast von Thomas The Detox Phase of Democracies (Video auf Englisch), und hier das Transkript auf Deutsch.

Der Online-Workshop zu Trauma und Demokratie

Im April 2022 fand ein dreitägiger Großgruppenprozess zur Erforschung der Beziehung von kollektivem Trauma, gesellschaftlicher Polarisierung und Demokratie statt. Er wurde in Kooperation von Pocket Projekt e.V. und Mehr Demokratie e.V. realisiert, von Thomas Hübl geleitet, und brachte mehr als 350 Personen zusammen.

Mehr Demokratie Forschungsbericht 05Viele davon kamen aus dem politischen Bereich und hatten kaum Erfahrung mit innerer Arbeit. Sie ließen sich ein auf einen spannenden Prozess der Selbsterforschung. Die Arbeit fand im Plenum, in Dreiergruppen und in Einzelarbeit statt. Viele Mutige wagten sich vor und legten im großen Raum ihre Haltungen und Gefühle zu politischen Themen offen und begannen, tiefer dahinter zu schauen. Getragen von der Gruppe entfalteten sich viele berührende Prozesse, in denen deutlich wurde, wie politische Haltungen mit der persönlichen Biografie, mit Verletzungen und auch traumatischen Erfahrungen zusammenhängen.

“In jeder Geschichte ist Geschichte, wir tragen Geschichte in uns, und deswegen haben wir eine Stimme.” Ein Teilnehmer

Der Forschungsbericht

Das Wochenende wurde wissenschaftlich begleitet durch das Cynefin Centre, das Institut für integrale Studien e.V., und das Institute for Advanced Sustainability Studies e.V..

Forschungsbericht deutschEmpirisch belegbar ist, dass das Verhältnis der Teilnehmenden zur Demokratie im Verlauf des Prozesses positiver wurde. Zu Beginn des Prozesses überwogen in den Erzählungen “gemischte Gefühle” von Distanz und Politikverdrossenheit. Am Ende des Prozesses überwogen Vertrauen in die Selbstwirksamkeit, Mitgefühl und Mut zur Demokratieentwicklung. Durch den Prozess wurden so abstrakte Begriffe wie Politik, Teilhabe und Demokratie für die Teilnehmenden konkreter erlebbar und lebendig.

Weitere Ergebnisse, auch zu den Forschungsmethoden, sind im Forschungsbericht nachzulesen.

Das heißt, die Erfahrung eines kohärenten und sicheren Gruppenraumes, in dem unter kompetenter Anleitung traumainformierte, respektvolle und wertschätzende Kommunikation erlebt werden kann, wirkt sich ganz direkt positiv auf die Demokratie aus.

Ausblick

Die Forschungs-Ergebnisse weisen darauf hin, dass neue Dialogformen und neue Formen der Zusammenarbeit in Politik und Gesellschaft hilfreich sind, um den Auswirkungen von Krisen nachhaltig zu begegnen. Voraussetzung dafür ist der Wille zur Selbstbeobachtung, und die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen sowie widersprüchliche Handlungsweisen ertragen zu können. Vor allem aber braucht es traumainformierte Prozessbegleiter, die thematisch neutral und unabhängig sind.

Mehr Demokratie Forschungsbericht 07Ohne Persönlichkeitsentwicklung wird es keinen nachhaltigen gesellschaftlichen Fortschritt geben. Dies betrifft alle, insbesondere aber alle Menschen in der Politik und an wichtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Positionen. Je größer der Einfluss eines Menschen ist, desto wichtiger sind diese Kompetenzen, denn die Schatten eines Menschen übertragen sich unweigerlich auf sein Einflussgebiet.

Immer mehr Menschen, die konsequent innere Arbeit betreiben, sind bereit sich auch gesellschaftlich einzumischen. So könnte der Weg von einer zerrissenen Gesellschaft zu einer Demokratie der Zuneigung funktionieren!


Wo kannst du schon jetzt solche neuen Räume demokratischer Kultur erfahren?

Sprechen und Zuhören MDDas Online-Format “Sprechen und Zuhören” bei Mehr Demokratie ist offen für alle. Einander zuhören, in Kontakt bleiben, auch wenn andere Positionen manchmal schwer auszuhalten sind – das ist die Basis für eine funktionierende Demokratie. Mehr dazu hier >>

 

Global Social Witnessing Online-Calls des Pocket-Projekts, offen für alle (in Englisch und Deutsch). Global Social Witnessing ist die menschliche Fähigkeit, globalen Ereignissen mit einem verkörperten Bewusstsein zu begegnen und dadurch einen inneren Raum zu schaffen, der diese Ereignisse widerspiegelt und ihnen Mitgefühl entgegenbringt. Mehr dazu hier >>

Community Calls PPCommunity Online-Calls des Pocket-Projekts, offen für alle (in Englisch und Deutsch). Gemeinsames Lernen in der Gemeinschaft ist Teil eines gesunden Lebensstils. Unsere Beziehungen sind ein wesentlicher Teil dessen, was wir sind – ich bin, weil du bist. Mehr dazu hier >>

 

MD AufstellungenMit Aufstellungen die Demokratie entwickeln von Mehr Demokratie e.V. Nächste Online-Aufstellung am Mittwoch, den 26. April 2023, 18:30 bis 21:00 Uhr online per Zoom. Mehr dazu hier Termine und Anmeldung

 


Mehr Info zu Mehr Demokratie

MD LogoMehr Demokratie ist ein gemeinnütziger Verein und hat rund 10.000 Mitgliedern und ein interessiertes Umfeld von 200.000 Menschen. Das Kernanliegen ist mehr direkte Demokratie zu schaffen, ein faires Wahlrecht und wirksamere Bürgerbeteiligung. Die Qualität des Austauschs und der Entscheidungsfindung, also die demokratische Kultur, ist dabei ebenso wichtig wie die Verbesserung demokratischer Strukturen. Zugleich wendet sich die Initiative gegen den Abbau demokratischer Rechte, benennt Schwachpunkte im politischen System und versteht sich als demokratisches Gewissen. “Mehr Demokratie” ist international vernetzt und ist Gründungsmitglied von “Democracy International”.
Webseite Mehr Demokratie v.V. >>


Mehr Info zum Pocket-Projekt

PP LogoDas Pocket-Projekt, mitgegründet von Thomas Hübl, hilft bei der Bewältigung und Integration individueller, generationenübergreifender und kollektiver Traumata. Ziel ist, die Wunden der Vergangenheit zu heilen und so die Menschheit auf einen Weg der Kreativität, der effektiven Zusammenarbeit und der Innovation zu bringen.
Webseite Pocket-Projekt >>


Ina Krause und Roman Huber

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