THOMAS HÜBL

Virtuelle Beziehungen – Wie wir unsere Video-Konferenzen lebendiger, nachhaltiger und körperlicher gestalten können

Ein Arbeitstag im Home-Office während dieser Pandemie könnte so ausschauen: du gehst am Morgen vom Frühstückstisch zu deinem Schreibtisch. Dort verbringst du den großen Teil deiner Arbeitszeit von 9 bis 5 Uhr in Zoom- oder Skype-Meetings. Betrittst du den virtuellen Konferenzraum, füllt sich dein Bildschirm mit den Bildern deiner Kollegen, Kunden oder Klienten. home officeWo man vorher in einem Konferenzraum direkt mit den Kollegen zusammensaß, hat man jetzt ein Videobild auf dem Bildschirm, von sich selbst und von den anderen Teilnehmern, auf die man sich bezieht, und mit denen man jetzt kommuniziert.
Welche Auswirkungen hat das auf uns? Was sind die Nebenwirkungen von vielen Stunden der Teilnahme an Videokonferenzen und des Aufenthalts in digitalen Räumen?
Was bedeutet diese neue Form der Kommunikation, und was sind die inhärenten Schattenseiten? Was ist der Nutzen und wo liegt die evolutionäre Möglichkeit.

Der Datenfluss im Menschen

Das menschliche Nervensystem hat Ähnlichkeit mit einem Fluß von Daten. Je kohärenter die Daten sind, desto glatter und flüssiger ist unsere subjektive Erfahrung. Um uns klar ausdrücken zu können, müssen wir uns mit unseren inneren Erfahrungen und Wahrnehmungen verbunden sein. human data flowDas menschliche Nervensystem hat Ähnlichkeit mit einem Fluß von Daten. Je kohärenter die Daten sind, desto glatter und flüssiger ist unsere subjektive Erfahrung. Um uns klar ausdrücken zu können, müssen wir uns mit unseren inneren Erfahrungen und Wahrnehmungen verbunden sein.

Bemerkenswert ist, dass das menschliche Nervensystem und technologische Netzwerke ähnlich funktionieren. Eines dieser gemeinsamen Elemente ist die In-Form-ation, die über ihre Definition hinaus als ein Prozess der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Form betrachtet werden kann. Das Nervensystem in-formiert den Körper, und der Körper in-formiert das Gehirn. Viele ausgeklügelte Rückkopplungsschleifen basieren auf der intelligenten Funktionalität des Datenflusses. Die menschliche Erfahrung ähnelt einem großen Fluss von Daten, der viel mehr Informationen beinhaltet, als in unserem Bewusstsein erscheint.

In-Form-ation hält uns in einer Form. Was bedeutet das?

Die Wirkung der Form ist entscheidend für das Nervensystem und den Körper, denn der Mensch ist eine Form. Das mag offensichtlich erscheinen, aber es ist wichtig, mit den Grundlagen zu beginnen. Diese Form will während des ganzen Lebens beständig bleiben. Sie muss ihre Form stabil halten, um zu leben. Um Struktur aufzubauen und um unser Gehirn Plastizität erfahren zu lassen, müssen wir in der Lage sein, Form zu schaffen. Wenn wir lernen, kultivieren wir eine innere Form, zu der Gedächtnis, Gewohnheiten und Strukturen gehören. Um ein geerdetes und stabiles Leben zu führen, muss jeder von uns ständig auf neue Weise in-formiert werden.

Das Internet liefert inzwischen Informationen, die unser Leben und unsere Gesellschaften stark bestimmen. Es in-form-iert unsere gesellschaftlichen Strukturen. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn wir über eine gute Internetverbindung verfügen. Und wir alle wissen, wie es ist, wenn E-Mails kaum aus unserem Postausgang herauskommen. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn wir ein Video anschauen und es reibungslos funktioniert, und wir wissen, wie frustrierend es ist, wenn der Film ständig einfriert, während man sich gerade die spannendste Passage ansieht.

big data„Big Data“, also Technologien zur Verarbeitung und Auswertung riesiger Datenmengen, treibt unsere technologische Entwicklung an und beeinflusst unser Leben auf beispiellose Weise. Aber ich meine, dass dieses Phänomen nicht neu ist. Unsere Entwicklung als Mensch ist in Big Data verwurzelt. Wir können uns unsere Wahrnehmungsprozesse als eine große Datenmenge vorstellen, die fließt. Wenn ich einen anderen Menschen sehe, existiert sein Abbild und die Form, die es annimmt, nur in meine Wahrnehmung gekleidet. Ich sehe diesen Menschen in meiner Wahrnehmung als eine Art gefilterte Version dieser Person. Ich kann nicht sagen, ob das, was ich sehe und wahrnehme, da draußen tatsächlich genauso ist.

Hier spielt jetzt die Kommunikation eine wichtige Rolle. Wir wissen erst dann, ob unsere Wahrnehmung den anderen Menschen richtig repräsentiert, wenn wir uns mit allen unseren Sinnen und Anteilen aufeinander eingestimmt haben – physisch, geistig und emotional. Bei der Übung des tiefen Zuhörens gibt es eine Ebene der Einstimmung und Resonanz, die zwischen zwei Menschen entsteht. Sich Beziehen ist ein Prozess, der jeden Augenblick neu geschieht, und der eine ständige Aktualisierung erfordert. Auf diese Weise bewegen wir uns durch schnelle Rückkopplungsschleifen, die den Datenfluss zwischen mir und einer anderen Person reibungslos und fließend machen.

Die Datenmengen, die unseren menschlichen Systemen schon seit Tausenden von Jahren innewohnen, geben wir jetzt nach außen ab an ein riesiges externes technologisches Neuronennetz, das unser Leben bestimmt in Form von Mobiltelefonen, Tablets und Computern. Wir sind jetzt mit der Unmittelbarkeit dieses Datenflusses sehr vertraut geworden.

Die menschliche Beziehung funktioniert auf die gleiche Art und Weise. Sie ist vollständig abhängig von der Unmittelbarkeit des Datenflusses.

Der menschliche Körper ist ein altes System. Er hat sich im Laufe von Millionen von Jahren zu der Form entwickelt, die für unsere heutige Existenz von wesentlicher Bedeutung ist. Was unsere Vorfahren durchlebt haben, kann man in der Entwicklung unseres Körpers, im genetischen Abdruck und in unserem evolutionären Lernen spüren. Der Körper verfügt über ein komplexes Nervensystem, das sich wie ein menschlicher Supercomputer mit einer Cloudfunktion verhält. Bei der Bildung von Beziehungen haben wir komplexe soziale Netzwerke und eine mehr oder weniger gut funktionierende Demokratie geschaffen (je nachdem, wo wir leben), die viel Rechenleistung erfordert. Alle unsere komplexen Systeme basieren auf Informationsströmen, Rückkopplungsschleifen und Aktualisierungsmechanismen.

human bodyDer Körper ist auch der Ort, wo unsere Emotionen angebunden sind. Emotionen sind die Grundlage für alle unsere Beziehungen. Angst, Freude, Wut, Trauer, Scham und Liebe sind unsere Kernemotionen. Wenn wir überwältigt sind von Gefühlen, haben wir die Möglichkeit, unsere emotionale Erfahrung zu dissoziieren und sie in das Unterbewusstsein zu drängen. Das ist eine sehr wichtige Funktion, die sich in unserer Entwicklungsgeschichte gebildet hat, und die auch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen kann. Was nicht erlebt werden kann, wird schließlich im Nervensystem gespeichert, wo es abgetrennt, unintegriert und fragmentiert bleibt.

Der Verstand ist die Heimat unseres rationalen und logischen Denkens. Er ist auch der Ort, an dem Innovation, Visionen, Planung und andere ausführende Funktionen mit Gedanken verknüpft werden. Diese werden dann zu den Blaupausen, den Vorlagen und den Entwurfsskizzen für unsere Welt, die wir gemeinsam erschaffen.

Auch wenn es so aussieht, als sähen wir hier drei verschiedene Teile, so sind sie doch eigentlich eins. Sie erscheinen nur unterschiedlich, wenn sie fragmentiert sind. Körper-Emotionen-Geist sind in Wirklichkeit ein zusammenhängender Datenfluss. Jeder Gedanke hat einen emotionalen Beigeschmack und befindet sich an einem bestimmten Ort innerhalb des Körpers. Innere Kohärenz ist das entscheidende Kriterium, das alle Entwicklungsteile unseres Nervensystems zu einer Gesamtfunktion verbindet. „Kohärenz“ (Zusammenhang, Abstimmung, Koordination) ist ein sehr wichtiges Wort für uns als menschliche Wesen.

Trauma

Trauma, die innere Zersplitterung, die als Reaktion auf eine überwältigende Erfahrung geschieht, schafft Inkohärenz und hat einen großen Einfluss darauf, wie wir das Leben erfahren und mit der technologischen Entwicklung und ihren Errungenschaften umgehen.

Zum Zeitpunkt des Auftretens eines Traumas, wenn also der innere Bewältigungsmechanismus einsetzt, um mit einer überwältigenden Erfahrung umzugehen, kann eine Person ein hohes Stressniveau erfahren, das dazu führt, dass Teile ihres Nervensystems blockiert und betäubt werden. Ein Trauma erzeugt eine innere Fragmentierung, und die innere Fragmentierung führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit einer äußeren Fragmentierung.

fragmentationDie innere Zersplitterung eines Menschen wird höchstwahrscheinlich auch im Beziehungsgeflecht der Person nach außen sichtbar werden. Führungspersönlichkeiten stellen in der Regel unbewusst ihre innere Fragmentierung um sich herum im Außen her. Wir sehen dies an den Symptomen, die Organisationen, Firmen, Teams und sogar ganze Länder zeigen.

Ein Trauma erzeugt eine Inkohärenz im Nervensystem und reduziert den Datenfluss und die Beziehungsfähigkeit. Es reduziert unsere Wahrnehmung und erzeugt wiederkehrende Muster. Da ein Trauma Integration erfordert, um geheilt zu werden, erzeugt jede nicht integrierte Energie in unserem System eine Form von Inkongruenz und Nicht-Verstehen. Sie erzeugt auch Fragen, die für uns schwer zu beantworten sind.

Wenn äußere Umstände unser Trauma triggern, fühlen wir uns oft übermäßig gestresst, gefühllos, und reaktiv. Wir sind nicht in der Lage, Situationen mit der vollen Kapazität unserer Intelligenz zu begegnen. Wir fühlen uns bei der Bewältigung der Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt, ständig eingeschränkt und überfordert.

Eine weitere Folge von Trauma ist das Gefühl, getrennt und isoliert zu sein. In diesem Zustand sind Körper, Emotionen und Geist nicht synchronisiert. Der Verstand fungiert oft als ein Wächter, der den verletzten Teil unserer Psyche schützt. Mentale Prozesse sind hier nicht kohärent mit dem, was wir fühlen. Deshalb können wir unserer Umgebung eine doppelte Botschaft übermitteln. Wir denken A, fühlen aber B. Die Menschen um uns herum nehmen bewusst oder unbewusst diese innere Spaltung wahr, die den Eindruck von Nicht-Echtsein erzeugt. Wir können fühlen, wenn jemand nicht authentisch ist. Unsere angeborene Fähigkeit zur Kohärenz kann diesen Unterschied empfangen.

Zeitgeist – der Intellekt als Überflieger

Wissenschaft und technologische Fortschritte entwickeln sich mit Hilfe eines starken evolutionären Rückenwindes weiter. Dies sind wichtige Fortschritte für uns als Menschheit. Aber die Dominanz des rationalen Denkens kann auch als ein Abwehrsystem gegen alles wirken, was vergangenes Trauma berührt. Dieser Mechanismus ermöglicht es uns, die schmerzhaften Ereignisse zu unterdrücken, die aus den Tiefen unseres Unbewussten entstehen können. Rationalität, Logik und verfeinertes wissenschaftliches Denken sind erstaunliche evolutionäre Errungenschaften und können gleichzeitig die stärksten Hemmnisse unserer beziehungsorientierten Intelligenz sein. Wenn der Verstand einmal vom Körper abgekoppelt und zum „Überflieger“ geworden ist, dann sind wir kaum mehr in der Lage, uns mit unseren Gefühlen zu verbinden, während wir denken.

big data technologyWenn Herz und Verstand getrennt sind, sind wir in einen gefährlichen Zustand geraten. Dieser Zustand kann dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die gegen die Menschlichkeit gerichtet sind, und die zu weitreichenden Verletzungen führen können. Der abgetrennte Intellekt erzeugt einen kalten Zustand, der jede Handlung als rational rechtfertigen kann, ohne dass eine emotionale „Überprüfung“ stattfindet. Der mit dem Herz integrierte Verstand ist ein Segen.

Wenn die technologische Entwicklung eine solche Spaltung verstärkt, werden wir die Schattenseite des Menschlichen erleben, die der Stoff unserer Alpträume ist. 1984 und „Schöne neue Welt“ lassen grüßen. Wenn Technologie von einem Ort innerer Kohärenz aus genutzt und geschaffen wird, wird sie unsere Entwicklung als Menschheit zu unserem höchsten Potential voranbringen.

In diesem Zusammenhang möchte ich untersuchen, wie das Internet und Videokonferenzen positiv genutzt werden können. Was sind die Fallen, die uns als Nutzer schwächen können? Welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt es hier und wie können wir diese Technologie für uns im Positiven nutzen?

Das warme und intime Internet

Wenn wir Kollegen oder unsere Angehörigen und Freunde auf unseren Computerbildschirmen sehen, ist nicht nur unser Verstand betroffen, sondern auch unser emotionales Erleben. Wenn wir direkt in ihre Gesichter blicken und die Mimik wahrnehmen, fließen mehr Informationen zwischen uns, als wenn wir ein Telefon benutzen. Noch weniger Daten fließen durch Emails und geschriebene Briefe.

warm virtual spaceDas Internet ist ein digitaler Raum, der verkörpert werden kann. Das heißt, Internet-Surfen kann mit dem ganzen Körper erlebt werden und nicht nur durch die schmale Spur des Intellekts. Dies kann nicht nur so sein, es sollte auch so sein. Da sich dieser technische Raum durch unsere rationalen und wissenschaftlichen Fähigkeiten entwickelt hat, spricht er hauptsächlich auch den Verstand an. Aber wenn wir jetzt Menschen, die wir lieben und schätzen, in Videokonferenzen vermittelt über das Internet sehen, wollen wir eine tiefe Erfahrung machen, die einer persönlichen Begegnung so nahe wie möglich kommt.

Es ist möglich, dass wir eine andere Form dieser neuen Art des Kommunizierens einüben. Wir können trainieren, mit anderen Menschen auf dem Bildschirm eine tiefe Beziehung einzugehen, so als ob sie mit uns im selben Raum wären. Wir können ihre Körper spüren, als ob sie mit uns zusammen sind. Wir können mit ihren emotionalen Erfahrungen mitschwingen, als ob wir in einem direkten physischen Kontakt miteinander sind. Wir können uns natürlich auch auf ihr Denken beziehen, was den meisten von uns vielleicht leichter fällt.

All dies erfordert Übung, denn zunächst sind wir es gewohnt, unser Körperbewusstsein nicht mit einzubeziehen, wenn wir uns virtuell verbinden. Es ist viel einfacher, auf eine mentale Ebene des Kontakts zurückzufallen. Wir können uns aber die Fähigkeit aneignen, Menschen auf dem Bildschirm zu sehen, und unseren ganzen Körper dabei miteinbeziehen. Dazu müssen wir zunächst unseren eigenen Körper spüren. Innere Körperwahrnehmung bedeutet, sich den Datenfluss bewusst zu machen, der meinen Körper und mein Gehirn informiert. Es gibt Teile meines Körpers, die ich sehr gut fühlen kann, und es kann andere geben, die ich vielleicht nicht gut fühlen kann.

Die virtuelle Beziehung

Um die reine Verständigung durch den Verstand zu überwinden, müssen wir die virtuelle Kommunikation neu lernen. Dies ist auch wichtig, um zu verhindern, dass uns die virtuelle Erfahrung erschöpft, und uns energetisch auslaugt. Wir können lernen, warme und nahe virtuelle Räume zu schaffen. Das ist natürlich wichtig für unsere Treffen mit Freunden und Familienmitgliedern, aber auch für unsere Geschäftsmeetings, während wir von zu Hause aus arbeiten. Insbesondere ist dies von Bedeutung für diejenigen, die Coaching- und Therapiesitzungen online durchführen. Da virtuelle Besprechungen in der Regel auch mit Bewegungseinschränkungen verbunden sind, trägt eine ausgeglichene Praxis der virtuellen Kommunikation dazu bei, uns auf lange Sicht gesund zu erhalten.

Diese dreistufige Praxis empfehle ich für Zoom-Meetings:

• Selbst-Kontakt herstellen
• Sich bewusst auf den anderen einstimmen
• Gruppenkohärenz fördern

Selbst-Kontakt herstellen

Eine Beziehung beginnt immer mit mir selbst. Beziehung bedeutet eine gefühlte Verbindung. Kann ich meinen Körper spüren? In welchen Bereichen meines Körpers fühle ich mich wohl? Was sind die Bereiche meines Nervensystems, die offen und fliessend sind und in denen ich mich selbst gut wahrnehme. Ich kann mich mit der Kraft des Atems in meinen Körper hineinsinken lassen. Mein Atem, der kurz nach meiner Geburt begann, ist eine tief verankerte Funktion im Körper und im Nervensystem. Wenn ich meine Ausatmung verlangsame, kann ich die Welle meines Atems nutzen, um mich in meinen Körper fallen zu lassen. Ich kann dies mit mehreren Atemzügen tun, und dadurch tiefer in den Körper eintauchen. Dieser Prozess erzeugt ein Gefühl der Entspannung. Jetzt kann ich mich mit den Teilen meines Körpers verbinden, die ich gut fühle. Die mit Ressourcen ausgestatteten Bereiche helfen mir, mich meines gesamten Körpers bewusster zu werden. Wenn ich einmal weiß, welche das sind, kann ich sie als Anker benutzen, um mich direkter mit mir selbst zu verbinden.

Download Meditation FaBoSobald ich mit den energetisierten Teilen meines Körpers verbunden bin, kann ich dieses Wahrnehmen in eine höhere Auflösung verfeinern. Ich kann Empfindungen eines inneren Flusses, Strömens, oder Pulsierens haben. Nachdem ich eine Zeit lang dabei geblieben bin und nicht auf die mentalen Ablenkungen meines Geistes reagiert habe, kann ich mein Bewusstsein von den mit Energie versorgten Teilen auf die weniger fühlbaren, gestressteren, und angespannten Bereiche meines Körpers ausdehnen. Vielleicht werde ich mir auch der Regionen meines Körpers bewusst, die ich überhaupt nicht fühlen kann. Ich bleibe bei allem, was entsteht, präsent und bewerte es nicht. Wenn ich das mehrere Minuten lang tue (z.B. bevor ich einen Zoom-Anruf starte), kann ich mich in meinem Körper gut zentrieren.

Mein Körper ist der Kelch, das Gefäß für meine Emotionen. Jetzt kann ich mein Bewusstsein in meine gegenwärtige emotionale Erfahrung erweitern. Ich kann mir einer Kernemotion bewusst werden oder vielleicht spüren, dass ich gerade gefühllos bin.

Sobald ich dies spüre, fahre ich fort, meine mentale Aktivität bewusst wahrzunehmen. Rast mein Verstand oder ist er ruhig? Ist mein Geist offen, inspiriert, und weit, oder verengt, angespannt und gestresst? Ich kann meinen Geist spüren.

Dann kann ich einen Blick darauf werfen, welcher Teil von mir sich all dieser Wahrnehmungen bewusst ist. Was ist dieses Bewusstsein, das sich meines Körpers, meiner Emotionen, und meines Denkens bewusst ist? Ich kann für einige Augenblicke bei der Erforschung all dessen bleiben.

Jetzt habe ich den Selbstkontakt hergestellt. Erst wenn ich mich selbst spüre, kann ich auf andere zugehen und sie spüren. Virtuelle Beziehungsfähigkeit erfordert die gefühlte Wahrnehmung des anderen. Da unser Nervensystem von Menschen, die sich im selben Raum aufhalten wie wir selbst, leichter Beziehungsinformation durch ihre Bewegungen, ihre Gesten und ihre Körperhaltung erhält, müssen wir, wenn wir online im Kontakt sind, diese virtuelle Beziehungslücke bewusst überbrücken.

Sich bewusst auf den anderen einstimmen

Jetzt bin ich bereit, das Gleiche mit den Menschen zu tun, die ich auf meinem Bildschirm sehe. Ich kann mir einen Moment Zeit nehmen, um mich auf eine oder mehrere Personen, die dort als digitale Abbildung erscheinen, einzustimmen und dieselben Schritte tun. Ich schaue durch und mit meinem ganzen Körper. Mein Körper spürt den Körper der anderen. Unsere Physis ist sehr intelligent, und wir erhalten darüber viele Informationen, vor allem dort, wo wir offen und aufnahmefähig sind.

video conferenceIch kann mit den Menschen auf meinem Bildschirm emotional mitschwingen und ein Gefühl für ihre emotionale Erfahrung bekommen. Ich kann spüren, wie offen oder verschlossen sich Menschen in der jetzigen Beziehung über das Internet fühlen. Der Schwerpunkt dieser Praxis liegt nicht darin, eine ideale Erfahrung miteinander zu machen, sondern den aktuellen Ist-Zustand aller Teilnehmer wahrzunehmen und aktiv zu fühlen.

Wenn ich mich auf andere Menschen einstimme, was bedeutet, dass unser Nervensystem in einen Zustand der Kohärenz übergeht, stärken wir den Datenfluss innerhalb unserer Beziehung zueinander. Letztlich gibt es keine Beziehung als Fixum, sondern nur den Prozess des Beziehens und die Erfahrung dessen. Es ist ein andauernder Prozess, der neu ist in jedem Moment. Es ist ein ständiges Streaming, und kein heruntergeladener Film.

Wenn wir unsere Nervensysteme synchronisieren, schaffen wir ein Feld, das vollständig präsent und lebendig ist. Dieses Feld wird zu einer soliden Grundlage für eine Zusammenarbeit und Begegnung, die dadurch lebendig und wahrhaftig ist.

Für diejenigen, die als Coaches oder Therapeuten arbeiten, können wir noch einen Schritt weiter gehen und uns noch tiefer darauf einstimmen, wie Menschen sich aufeinander einstellen. Können wir spüren, wie wir uns gegenseitig wahrnehmen? Können wir spüren, wie unsere Nervensysteme aufeinander eingestimmt sind? Dazu bedarf es einer sehr feinen Wahrnehmung, die wir als Teil unserer grundlegenden Entwicklung von Geburt an gelernt haben.

Ich fühle dich und wie du mich gerade fühlst – das ist der Grundbaustein für Beziehungsintelligenz.

Gruppenkohärenz fördern

Jetzt können wir zu Schritt drei übergehen, d.h. die Gruppenkohärenz spüren, die wir gemeinsam durch die relationale Einstimmung auf jede Person auf dem Bildschirm aufgebaut haben. Durch die Beziehungs-Kohärenz schaffen wir gemeinsam ein Feld, das dem Weben eines Teppichs gleicht. Jetzt können wir das ganze System fühlen, das dadurch entsteht, dass wir alle gemeinsam präsent und gegenwärtig sind. Es gibt einen Gruppenresonanzkörper und es gibt eine Gruppenpräsenz. Diese Gruppenpräsenz ist eine sehr mächtige Ressource. Je höher sie ist, desto intelligenter ist das Netzwerk. Wenn jeder Teilnehmer einer Gruppe die ganze Gruppe fühlt, ist die Gruppe in der inneren Wahrnehmung aller Teilnehmer vertreten. Wenn wir das bewusst und im Bewusstsein unserer Gefühle tun, intensiviert es die Kohärenz des Gruppenfeldes.

virtual groupHöher intelligente Netzwerke haben eine höhere systemische Kohärenz. Der Datenfluss erhöht sich, nicht nur weil der Inhalt eine höhere Komplexität aufweist. Er nimmt zu, weil das gesamte System intelligenter wird, einschließlich aller, die in diesem System existieren. Gruppenkohärenz gibt auch jedem Teilnehmer etwas zurück: die Möglichkeit, eine höhere Funktionalität und Intelligenz zu erreichen. Wenn wir alle bewusst Zeit und Energie investieren, um Systeme zu schaffen, die einen hohen Energiefluss haben, schaffen wir ein leistungsfähiges humanes IT-Netzwerk. Je stärker unsere Server sind und je intelligenter ihr Verbindungssystem ist, desto höher ist die Rechengeschwindigkeit.

Einstimmung ist die innere IT-Optimierung aller Zeiten. Es ist das innere 5G-Netz, aber ohne negative Strahlung und mit vielen Vorteilen für die Menschheit.

Die Technologie offenbart uns, was wir seit langem in uns tragen. Unsere Welten der Technologie und der Wissenschaft sind ein Abbild der inneren Architektur des menschlichen Potentials.

Menschliche Beziehungen sind ein Datenfluss par excellence. In seiner gesunden Form ist es das Streaming, das in jedem Moment stattfindet, wenn wir uns miteinander verbinden. In alltäglichen, zufälligen Begegnungen brauchen wir keinen so hohen Datenfluss. Aber wenn wir uns auf sinnvolle und konzentrierte Arbeits- oder Beziehungsräume einlassen, wissen wir, wie wir diese herstellen können. Das haben wir als Menschheit über Hunderttausende von Jahren getan. Wir sind darin bereits ausgebildet.

Die unintegrierte Vergangenheit miteinschließen

Wenn wir uns auf diese Praxis der virtuellen Beziehung einlassen, müssen wir berücksichtigen, dass wir viele Wunden in unseren Gruppenfeldern haben und diese dort weitergetragen werden. Darum funktioniert ein großer Teil des Beziehungs-Datennetzes nicht gut, das der Gesellschaft zugrunde liegt. Wir könnten dies als reduzierten Datentransfer im kollektiven Nervensystem sehen. Meine Fähigkeit, mich auf mich selbst, auf den anderen und auf Gruppen zu beziehen, kann dadurch eingeschränkt sein. Wir sollten uns dessen bewußt sein, denn wir können in jedem Moment mit den Nebenwirkungen davon konfrontiert werden.

human interconnectionBeziehungsstreitigkeiten in Partnerschaften, schwierige Momente mit Menschen am Arbeitsplatz oder Herausforderungen als Eltern – wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn der Datenfluss des Streamings nicht gut funktioniert. Dann gehen wir in der Regel zu unserer Festplatte und suchen nach alten Wegen und Informationen, wie wir mit dieser Schwierigkeit umgehen können. Wir kehren zu alten Verhaltensweisen und Beziehungsmustern zurück, die jetzt nicht mehr frisch, innovativ und kreativ sind, sondern Datensätze, die wir in der Vergangenheit abgespeichert und bereits viele Male verwendet haben, und von denen wir wissen, dass sie nur begrenzt funktionieren.

Sich wiederholende Beziehungsmuster bauen meist auf Traumata auf, auf unbewussten Beziehungsformen aus unserer Vergangenheit. Wir wiederholen unsere Vergangenheit und versuchen oft, Konflikte auf diese Weise zu lösen.

Wir sind gefordert herausfinden, wie wir Beziehungen aus dem Fluss der Gegenwärtigkeit heraus gestalten können. Da wir jetzt das Beispiel des digitalen Streamings im Außen haben, können wir nun spiegeln, wie dies in unseren alltäglichen Beziehungen funktioniert.

Entweder können wir uns auf den gegenwärtigen Moment beziehen, oder wir müssen alte Datensätze verwenden, um die Probleme des gegenwärtigen Augenblicks zu lösen. Wenn es uns gelingt, die Anzeichen dieser Wunden, dieser alten Muster, zu lesen, können wir langsam zu einer Stütze für die Integration von Tausenden von Jahren menschlichen Fehlverhaltens und Leids werden. Dazu ist es nötig, Symptome nicht zu ignorieren, die das Trauma in unserem Beziehungsumfeld erzeugt, sondern ihnen gegenüber präsent zu bleiben. Das versetzt uns in die Lage, uns über Spaltung, Trennung, Isolation und Reaktivität hinaus in eine viel stärker vernetzte und miteinander interagierende Welt zu entwickeln.

Thomas Hübl (editiert von I. Krause)

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