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THOMAS HÜBL

Kunst und kollektives Trauma: Neue Ausstellung von Yehudit Sasportas

Solus Locus – Arter Museum Istanbul – 30. März bis 31. Dezember 2022

Ich freue mich sehr, euch von der Teilnahme meiner Frau und internationalen israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas an der Ausstellung Solos Locus im Arter Museum in Istanbul berichten zu können. Die Ausstellung ist von Selen Ansen kuratiert. Die unglaubliche Tiefe und Ausdruckskraft dieser Arbeiten spricht für sich selbst. Sie bergen eine sehr kraftvolle künstlerische Stimme, die dem Unaussprechlichen aus den Tiefen des kollektiven Unbewussten zum Ausdruck verhilft. Yehudit war in den letzten beiden Jahren auch Gastreferentin des Collective Trauma Summit und hat gezeigt, welch wichtige Rolle Künstler bei der Aufdeckung der unsichtbaren Architektur individueller, angestammter und kollektiver Traumata spielen. Herzlichst, Thomas

Arter Museum Istanbul

 

Arter Museum„… Die Ausstellung vereint eine Auswahl von Werken aus der Sammlung unseres Museums mit Neuproduktionen und bestehenden Werken. Es geht um das Konzept der Natur und lädt das Publikum auf eine Reise ein, durch unterirdische, himmlische und irdische Gefilde, unterbewusste Territorien, vergangene und verlorene oder phantasierte und nie existierende Orte, und verschiedene Landschaften. Die Ausstellung Locus Solus zielt darauf ab, die Beziehungen zwischen dem mineralischen, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Leben und die Art und Weise, wie Natur und Kultur miteinander verflochten sind, neu zu überdenken. Die ausgestellten Werke, von denen jedes eine Welt für sich bildet, regen an, über die Natur als kulturelles und historisches Konstrukt nachzudenken. Dieses wird von Mythologien, kollektiven Überzeugungen und Ritualen, individuellen Geschichten und Erfahrungen, sozialen Ängsten und Wünschen genährt und geformt.“

Selen Ansen, Kuratorin der Ausstellung Locus Solus, March 2022

 

Wall No. 14, No Man's Land, Sasportas

Wall No. 14, No Man’s Land – The Time Dwellers, Yehudit Sasportas
Exhibition view. Arter museum, Istanbul, Turkey. March 2022. Photo: Ece Ak

 

Wall No. 15, No Man's Land, Sasportas

Wall No. 15, No Man’s Land – The Time Dwellers, Yehudit Sasportas
Exhibition view. Arter museum, Istanbul, Turkey. March 2022. Photo: Ece Ak

 

„…Im Rahmen der Ausstellung Locus Solus ist No-Man’s Land eine ortsspezifische Installation, die bestehende Werke verschiedener Medien von Sasportas beinhaltet und so eine Verbindung zwischen Bild, Ton, Skulptur und Architektur herstellt. Die Installation ist ein integraler Bestandteil des Liquid Desert Projekts, das die Künstlerin in den letzten sieben Jahren entwickelt hat. Ziel ist es, den individuellen und kollektiven Raum des Unterbewusstseins zu kartieren. Das Projekt Liquid Desert ist als konzeptioneller Apparatus zur Erforschung der Mechanismen der menschlichen Psyche konzipiert, die es ermöglichen, entweder an der Realität teilzuhaben oder sie zu vergessen, abzulehnen und zu verleugnen. Es bringt einen negativen unterirdischen Ort an die Oberfläche – einen Bunker, der sich in der Negev-Wüste (im Süden Israels) befindet und insgesamt aus drei unterirdischen Ebenen und 49 Räumen besteht. Die im Arter-Museum präsentierte Installation mit dem Raum Nr. 10 besteht aus zwei schwarzen Wänden, die als Trennwände und Schwellen, Stützen und Oberflächen fungieren.“

 

Wall No. 14, No Man's Land, Sasportas

Wall No. 14, No Man’s Land – The Time Dwellers, Yehudit Sasportas
Exhibition view. Arter museum, Istanbul, Turkey. March 2022. Photo: Ece Ak

 

Wall No. 15, No Man's Land, Sasportas

Wall No. 15, No Man’s Land – The Time Dwellers, Yehudit Sasportas
Exhibition view. Arter museum, Istanbul, Turkey. March 2022. Photo: Ece Ak

 

„Die architektonische Struktur des Raums dient als Behälter für verdrängte und nicht verbalisierte Emotionen, während die darin stattfindenden Arbeiten ein unausgesprochenes Lebensmaterial aktivieren und transformieren, das im kollektiven Unterbewusstsein außerhalb von Sprache und Zeit existiert. Diese Arbeiten erforschen die beunruhigende Korrespondenz zwischen unausgesprochenem, ungesehenem und unterbewusstem Lebensmaterial und wie diese Informationsschichten die sichtbare Oberfläche der Psyche aktivieren und sich dort etablieren. Sie ermöglichen den Akt des Bezeugens, indem sie Materialien der Spannung, des Widerspruchs, des Konflikts und der Krise kommunizieren, Materialien, die das System energetisch aufladen, aber nicht verbal ausgedrückt werden können.“

Selen Ansen, Kuratorin, über Yehudit Sasportas Arbeiten, März 2022.

Room drawing no.17, Sasportas

Room drawing no.17, 2019 Yehudit Sasportas.
59X83 cm, graphite drawing on archival pigment print. Chapter 1, Liquid Desert Project. Photo: Elad Sarig

 

 

Room drawing no.11, Sasportas

Room drawing no.11, Yehudit Sasportas.
59X83 cm, graphite drawing on archival pigment print. Chapter 1, Liquid Desert Project. Photo: Elad Sarig

 


No-Man’s Land – The Time Dwellers (Niemansland – Die Zeitbewohner)

Room no.10, The Liquid Desert Project | Yehudit Sasportas

 

Liquid Desert ProjectLocus Solus ist die zweite Museumsausstellung, die das Liquid Desert Project präsentiert. In No-Man’s Land – The Time Dwellers (Niemansland – die Zeitbewohner), setzt Sasportas ihr jahrelanges, prozesshaftes Projekt fort, das komplexe Korrespondenzen zwischen der menschlichen Psyche, von Menschen geschaffener Architektur und natürlichen Orten herstellt. In Übereinstimmung mit ihren Installationen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Räumen, Kontexten und Umgebungen in ganz Europa ausgestellt wurden, bietet No-Man’s Land den Besuchern eine neue Lesart der architektonischen Struktur der Liquid Desert und ihres weiteren kulturellen Kontextes. Die virtuellen und metaphysischen Räume des Liquid Desert Project fungieren als Schauplatz für die Entstehung von Filmen sowie für einzigartige künstlerische Prozesse wie Veranstaltungen von Kuratoren, Konferenzen und spezielle Kooperationsaktivitäten mit internationalen Künstlern.

Die verschiedenen Räume beherbergen die Reflexionen aktueller Kunstwerke aus den Bereichen Zeichnung, Skulptur, Ton und Video, die gleichzeitig in verschlüsselter und partieller Form im sichtbaren öffentlichen Raum ausgestellt werden. So entsteht eine einzigartige Korrespondenz zwischen einem physischen und sichtbaren Bereich und seinem verborgenen unterirdischen und metaphysischen Gegenstück. Die eigentlichen Kunstwerke können von der Öffentlichkeit im Museum besichtigt werden und stehen während der gesamten Ausstellung in aktiver Konversation / Resonanz mit dem metaphysischen Ort.

Der Überlieferung nach ist die nördliche Negev-Wüste, in der sich der Standort von Liquid Desert befindet, der Ort eines historischen Dialogs zwischen der menschlichen Dimension in Form von Abraham und einer göttlichen Präsenz – wie die Änderung von Abrahams Namen – von Avram zu Avraham – zeigt. Im Kontext dessen wurde der hebräische Buchstabe ה (H) eingeführt, der im einfachsten und tiefsten Sinne die Anerkennung der Präsenz Gottes in der manifesten physischen Welt symbolisiert. Somit befasst sich das Liquid Desert Projekt mit der Bewegung von Strukturen und dem lebendigen Dialog zwischen der offenen und der verborgenen Dimension unseres Lebens – derjenigen, die wichtige, für die eigentliche Bewegung wesentliche Informationen enthält.

 

Liquid Desert mother-base

Liquid Desert mother-base, Abraham Path. Photo: Noa Fine

 

Unser kollektives Unterbewusstsein als Gesellschaft fungiert als unsichtbarer Speicher von Lebensmaterialien, die im Laufe unserer persönlichen und kollektiven historischen Reise verdrängt, verleugnet und verbannt wurden. Häufig tauchen sie als rätselhafte und lästige Ereignisse auf, die im Verborgenen die Realität bestimmen. Diese Lebensmaterialien wurden verarbeitet und in eine aktive Komponente von stummen Kunstwerken übersetzt, die sie in Form von physischen Werken reaktivieren. Das Projekt Liquid Desert erzeugt somit einen Diskurs mit den äußeren Grenzen des menschlichen Wissens, in dem die Kunstwerke wichtige und relevante Themen der heutigen Zeit aufzeigen. Der Dialog findet an grenzwertigen und kantigen Orten statt und bezieht sich im Kern auf das Thema des kollektiven Traumas, das eine Gleichgültigkeit gegenüber verschiedenen Themen innerhalb unserer Kultur und Gesellschaft verursacht, für die wir noch nicht die volle Verantwortung übernommen haben.

 

Liquid Desert Project

 

No-Man’s Land - The Time Dwellers Code

No-Man’s Land – The Time Dwellers Code
Floor -3, Liquid Desert site, Negev Desert. Photo: Yehudit Sasportas

 

 

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Desert Witnesses, 2022. 46X34 cm, Charcoal drawing. Chapter no. 7, Liquid Desert Project. Photo: Yehudit Sasportas
Cad-Ot No.1, 2019, 46X34 cm, Archival pigment print. Chapter no. 7, Liquid Desert Project

 

Für Sasportas fungieren die Kunstwerke als Mittel zur Neucodierung von Schlüsselthemen des kollektiven Unterbewusstseins, indem sie eine Bewegung von innen nach oben erzeugen, die mit der Erschütterung der tiefsten Ebenen des Unterbewusstseins verglichen werden kann. So bietet die Liquid Desert Site eine neue und andere Art des zeitgenössischen und fortschrittlichen Denkens in Form eines lebendigen Gesprächs mit unserer Schattenwelt als Gesellschaft und Kultur.

 

17-18-liquid-desert-Sasportas

The Witnesses no. 2, 2020, 61X45.7 cm, graphite drawing on paper. Chapter no. 4, Liquid Desert Project. Photo: Elad Sarig
The Witnesses no. 11, 2020, 61X45.7 cm, graphite drawing on paper. Chapter no. 4, Liquid Desert Project. Photo: Elad Sarig

 

Mehr zum Liquid Desert Project hier:

 

 


Über das Arter Museum

Arter Museum IstanbulDas 2007 gegründete und international ausgerichtete Arter-Museum in Istanbul hat von 2010 bis 2018 in seinem Gebäude in der Istiklal-Straße 35 Ausstellungen präsentiert. Im September 2019 zog das Museum in sein neues Gebäude im Istanbuler Stadtteil Dolapdere um, das von Grimshaw Architects entworfen wurde. In dem Gebäude sind zahlreiche Räume miteinander verbunden und schaffen nahe beieinander liegende Ausstellungsbereiche für Film, Video, Musik, Tanz, Literatur und traditionelle Kunst. Das Gebäude mit seinen kantigen Volumina, perforierten geometrischen Keramikplatten und dreifach hohen Öffnungen steht in auffälligem Kontrast zur umgebenden städtischen Struktur. Diese besteht aus baufälligen Häusern und informellen Konstruktionen, die sich an die Hänge klammern, wobei sich die Wohnzimmer der Familien zu den Straßen und Gassen hin öffnen, die zwischen kleinen Fabriken, Schrotthändlern und verrauchten Teehäusern verlaufen. Das Zentrum wird von der Vehbi Koç-Stiftung betrieben, finanziert vom größten türkischen Industriekonglomerat, das für seine unauffällige Opposition zur Regierung bekannt ist. Arter gilt als Referenzpunkt für zeitgenössische Kunst und blockfreie Kultur in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit immer mehr eingeschränkt wird.

Mehr über das Arter-Museum in Istanbul >>


Diese Ausstellung wurde mit der Unterstützung und Hilfe des Arter-Museums erstellt und durch professionellen Arbeit in Zusammenarbeit mit dem großartigen Team realisiert:

SELEN ANSEN / Curator
GİZEM USLU TÜMER / Exhibitions Manager
DUYGU DOĞAN / Technical Production Manager
ALPER DEMİRBAŞ / Exhibitions Assistant Coordinator
ERDAL HAMAMCI / Technical Production Coordinator
DİDEM URALER CELIK / Graphic Design Specialist
UTKU URAL / Exhibitions Assistant Coordinator
ECE AK / Production Specialist

Adresse des Arter Museums: Irmak Caddesi No: 13 Dolapdere, Beyoğlu 34435 İstanbul, Turkey
Telefon: +90 212 708 58 00
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11:00 – 18:00 Uhr
Webseitewww.arter.org.tr

copyright 2022 © Yehudit Sasportas & VG Bild-Kunst

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