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THOMAS HÜBL

Die Kunst der Transparenten Kommunikation

Point of Relation Podcast, Episode 10 mit Thomas Hübl

Übersetzung ins Deutsche

Wir gestalten die Welt durch die Beziehungen, die wir leben, und durch die Beziehungsqualität, die wir an die nächste Generation weitergeben. Wenn wir in unseren nahen Beziehungen mehr Bewusstheit einüben, schreiben wir die Vergangenheit um. Wir können heilen, wir können integrieren, und dadurch können wir die Welt verändern.

Heute möchte ich mit dir die Kunst der transparenten Kommunikation erkunden. Das ist eine tiefgehende evolutionäre Praxis, die ich seit über 20 Jahren auf der ganzen Welt lehre. Was sind die Vorteile und was ist unser Beitrag zu unserem Leben, zu unserer Welt, zur aktuellen Weltlage, wenn wir transparente Kommunikation praktizieren?

Transparente Kommunikation wird manchmal missverstanden. Manche Menschen sagen: “Oh, ich teile alles transparent mit, was mit mir passiert.” Das ist natürlich großartig. Und das ist definitiv ein Teil der transparenten Kommunikation. Aber transparente Kommunikation ist mehr, es ist eine Art Kunstform im Sinne einer kontemplativen Praxis in Beziehungen. Es ist eine relationale oder soziale kontemplative Praxis.

Denn höchstwahrscheinlich lebst du, der du gerade diesen Artikel liest, nicht irgendwo in einer Höhle im Himalaya und meditierst seit 20 Jahren. Die Kontemplation und Meditation von uns, die wir in der Welt leben, ist also genau dieses Leben in dieser Welt, in einer Gesellschaft, in einer Familie, als Eltern, als Partner, als Ehemann und Ehefrau, und als Bürger, die zu unserer Gesellschaft beitragen.

Mehr Bewusstsein im Beziehungsprozess

transparent communication 06Deshalb wollen wir mehr und mehr Bewusstsein in diesen Beziehungsprozess bringen. Durch eine kontinuierliche Praxis stärken wir unsere Fähigkeit, Erfahrungen klarer wahrzunehmen und zu fühlen, und Beziehungen in höherer Auflösung führen zu können.

Denn im Grunde genommen sind Meditation und Kontemplation dazu gedacht, das Leben in einer höheren Auflösung, das heißt mit einem höheren Bewusstsein, zu sehen, zu erfahren und zu fühlen. Dieses höhere Bewusstsein ermöglicht es uns, Dinge wahrzunehmen, die wir vorher nicht gesehen haben.

Wenn wir uns also in transparenter Kommunikation üben, wird oft gesagt, dass es darum geht, dass ich weiß, was ich sagen will und dass ich mich entsprechend ausdrücken kann. Das ist schon mal gut. Zusätzlich geht es aber um ein Gewahrsein meiner selbst, ein bewusstes Wahrnehmen des Raumes zwischen mir und den anderen. Und ein Bewusstsein darüber, ob die Person, die Gruppe, oder das Team, mit dem ich gerade zusammen bin und in Beziehung stehe, tatsächlich auch in meinem Gewahrsein ist.

Bei der Kommunikation geht es also nicht nur darum, was ich sagen oder ausdrücken will. Sondern es geht auch darum, was du, als mein Gegenüber, hörst. Der gesamte Bewusstwerdungsprozess der Person, die spricht, des Raums dazwischen und der Person, die zuhört, erfordert also eine Menge Einstimmung. Deshalb habe ich mein nächstes Buch Attuned genannt, denn Attunement (Einstimmung) ist der Datenfluss, das Gewahrsein, das zwischen uns stattfindet, wenn wir in einer Beziehung sind oder uns aufeinander beziehen.

Beziehung ist wie Datenstreaming

transparent communication 08Und ich liebe diese Analogie: früher hat man ein Video heruntergeladen und danach angesehen. Heutzutage ist üblich, dass das Video, das man sich gerade anschaut, währenddessen noch gestreamt wird. Dieses Streaming ist also sehr ähnlich wie unsere Beziehungen. Beziehungen sind wie Daten-Streaming. Es ist wie Netflix. Es ist ein momentanes Gewahrsein dessen, was tatsächlich zwischen uns fließt, oder was nicht zwischen uns fließt. Die dyadische Erfahrung und die Gruppenerfahrung haben ein erhöhtes Bewusstsein für diesen Prozess.

Wenn wir also miteinander sprechen, wenn wir in Beziehung zueinander stehen, wenn wir zusammen sind, sogar wenn wir uns umarmen, werden viele Daten ausgetauscht. Je mehr wir in diesen Daten verankert sind und uns dieser Daten bewusst sind, desto mehr entsteht ein Gefühl von Intimität.

Hörst du jemandem zu, ist derjenige in deinem zentralen Nervensystem präsent, denn dort hörst du ihn, oder sie. Dort ist der andere existent, wenn du die Worte hörst, wenn du fühlst, was mit den Worten einhergeht, und wenn du dich auf das, was du hörst, beziehst. Dein sensorischer Input kanalisiert in gewisser Weise diesen Menschen in dein zentrales Nervensystem. Und dort bildest du die Bedeutung dessen, was du hörst, was auch immer das ist.

Wir existieren ineinander

transparent communication 05Beziehung ist also immer ein sehr intimer Prozess. Warum? Weil wir ineinander existieren. Wir sehen einander. Wir hören uns gegenseitig. Wir fühlen uns gegenseitig. Und die Fähigkeit, in diesem Sinne präsent zu sein, und auf die Tatsache eingestimmt zu sein, dass wir ineinander existieren, ist erstaunlich. Warum? Weil ohnehin schon eine Menge Daten in uns sind, die wir bereits empfangen haben und die uns in-form-ieren. Und wenn ich auf dich höre, in-form-ierst du mich. Ich habe also eine Form von dir in mir.

Wenn wir sagen, dass wir offen sind, was bedeutet das? Wenn die Daten tief eindringen, dann habe ich eine körperliche Erfahrung von dir. Ich kann dich durch meinen Körper spüren. Ich kann deinen Körper durch meinen Körper spüren. Ich habe eine emotionale Erfahrung, denn Emotionen sind das Bindegewebe des Lebens. Ich habe eine emotionale Erfahrung, eine körperliche Erfahrung, und eine mentale Erfahrung, die ich verstehen kann. Ich kann mich mit dem, was du mir sagst, in deine mentale Sphäre begeben und mit dir dort zusammen sein. So verstehen wir uns gegenseitig. Oder oft verstehen wir uns nicht.

Echte Offenheit

transparent communication 10Und dann gibt es noch eine Beziehungsdimension, wie Offenheit wirklich echte Offenheit ist. Das ist ein entspannter, regulierter Zustand unseres Nervensystems, der in der Polyvagalen Theorie als “Social Engagement Zone” bezeichnet wird. Wenn wir beide in der sozialen Engagement-Zone ruhen, sind wir am offensten, um einander zu empfangen, einander zuzuhören, miteinander zu sein, gemeinsam kreativ zu sein und das Gefühl zu haben, einen gemeinsamen Raum zu teilen.

Transparente Kommunikation ist also in gewisser Weise ein Training, um diese inneren, bereits vorhandenen Informationen, die wir voneinander in uns tragen, mehr zu beachten. Und dass Kommunikation nicht nur ein intellektueller Prozess ist, sondern immer ein kognitiver Prozess, der mit einer emotionalen Erfahrung, und mit einer körperlichen Erfahrung verbunden ist, die auch zu unserer Erdung beiträgt, so das wir uns in unserem Körper gut und verankert fühlen.

Was ich sage und was ich emotional und körperlich fühle, stimmt überein. Wenn etwas Sinn macht, bedeutet das, dass es gefühlt UND gedacht wird. Wenn Denken und Fühlen ein Prozess sind, ist es ein Fluss durch mein Nervensystem. Ich kann es fühlen. Ich kann es verstehen. Das ergibt Sinn.

Fragmentierte Kommunikation

Transparent Communcation 03Oft jedoch – und besonders, wenn wir verletzt, traumatisiert, verwundet oder unbewusst sind – ist das Denken von der emotionalen und körperlichen Erfahrung abgekoppelt. Dann können wir zwar über Dinge reden, aber wir fühlen sie nicht. Wenn wir also über Dinge sprechen, die wir nicht fühlen können, übertragen wir Gedankenmuster, Glaubenssysteme und kognitive Strukturen in die Beziehung. Aber wir übertragen etwas anderes durch unseren Körper. So gibt es plötzlich zwei oder mehr Informationsströme anstelle einer kohärenten Sinngebung. Ich übertrage also Fragmentierung in den Raum – eine Zweiheit, eine Dreiheit oder mehr. Die ausgesendeten Informationen sind nicht kohärent.

Dies ist eine wichtige Information, die mich bereits im Vorfeld über das Vorhandensein der unbewussten Aufspaltung der Informationen informiert. Wenn ich sehr präsent bin und mir dessen bewusst bin, dann nehme ich es wahr. Wenn ich die Aufspaltung nicht bemerke, die die andere Person auf mich ausstrahlt und ich mich unwohl fühle, werde ich vielleicht getriggert. Ich verstehe nicht ganz, was der andere sagt.

Dann gibt es bereits eine Aufregung im Beziehungsraum, und die Wahrscheinlichkeit ist sehr viel höher, dass es zu Eskalation, Reaktivität, und zu Missverständnissen kommt, dass wir nicht diesselbe Sprache sprechen und Auseinanderdriften, und in einen Konflikt steuern. Diese Konflikte beruhen oft auf einem nicht kohärenten inneren Informationsaustausch.

Fragmentierung beruht auf Traumatisierung

Transparent Communication 04Diese Art von innerer Fragmentierung beruht immer auf Traumatisierung, in der Kindheit, oder auf auf anderen negativen Erfahrungen, die wir gemacht haben oder die unsere Vorfahren gemacht haben. Wir sind wahrscheinlich in einem Familiensystem aufgewachsen, in dem es viele fragmentierte Botschaften gab. Und so wurde das zum normalen Beziehungssystem, das ich kenne und das ich als normal empfinde.

Es ist aber nicht normal. Dies passiert, wenn wir in einer Welt leben, die teilweise verletzt ist. Anstatt es also normal zu nennen, sollten wir es vielleicht so beschreiben: Es gibt Momente, in denen der Schmerz des Lebens durch fragmentierte Botschaften zum Ausdruck kommt.

Transparente Kommunikation als kontemplative Praxis, wobei kontemplativ nicht unbedingt Meditation bedeutet, kann in sehr lebhaften und energiegeladenen Gesprächen stattfinden, in denen ich sehr präsent bin. Und ich bemerke viele Dinge und bin mir vieler Aspekte des Beziehungsprozesses bewusst, während ich mich in sehr unterschiedlichen Umgebungen befinde. Sei es in geschäftlichen Besprechungen, mit unseren Lieben in der Familie, oder als Bürger in der Gesellschaft, wo ich meine Handlungsfähigkeit zum Ausdruck bringe.

Das Prinzip der Resonanz ist wie Musik

Transparent Communication 02Die Kohärenz in meinem Nervensystem zwischen meinen kognitiven Funktionen, meinen emotionalen Funktionen, meinen körperlichen Funktionen, das ist wie ein Musikinstrument. So gehe ich mit dir in Resonanz und du gehst mit mir in Resonanz. Dieses Prinzip der Resonanz ist wie Musik. Vieles in den menschlichen Beziehungen basiert auf Musik. Je offener unser Nervensystem ist, desto feiner ist die Qualität des Hörens der Musik, die wir aussenden.

Und natürlich ist für alle, die in therapeutischen Berufen, im Coaching, in der Beratung, in der Lehre, in der Mediation und in vielen anderen Berufen arbeiten, die auf ständigen Interaktionen zwischen Menschen, auf Einstimmung und Einfühlung beruhen, eine transparente Kommunikation ein erstaunliches Werkzeug. Denn wir verfeinern ständig unsere Fähigkeit, viele Details im Datenfluss wahrzunehmen, die sehr wichtig sind, weil sie uns informieren. Das heißt, es entsteht eine Form. Und wenn diese Form unbewusst ist, dann gibt es unbewusste Formen in unserem Leben, die wir oft nicht verstehen. Aber es gibt sie.

Und dann gibt es die bewussten Formen. Ich bin mir also des Prozesses bewusst und ich bin bewusst informiert. Und das ist natürlich nicht nur für mich selbst sehr hilfreich, denn dieses Bewusstsein strahlt auch auf meine Umgebung aus. Ein Teil meines Einflusses, den ich im Leben habe, basiert also auf Bewusstsein, auf all den Teilen in mir, derer ich mir bewusst bin und die ständig einen bewussten Einfluss auf meine Umgebung haben. Es ist also tatsächlich Teil eines bewussten Ökosystems, oder das ist es, was ich zu jeder Art von Ökosystem beitragen kann, dessen Teil ich werde.

Transparente Kommunikation macht Beziehung zu einer Kunstform

transparent communcation 07Transparente Kommunikation ist also eine Art Verfeinerung und macht Beziehungen zu einer Kunstform, die wir mehr und mehr verfeinern können, und das führt natürlich immer mehr dazu, dass meine Fähigkeit, mehr von der Welt einzubeziehen, wächst.

Wenn wir uns wirklich treffen und uns auf etwas einlassen, dann erschaffen wir gemeinsam eine neue Welt. Das Üben von Beziehungspräsenz und Bewusstheit und das Einstimmen auf den anderen und das Spüren des anderen, während wir miteinander reden, ist tatsächlich eine ungeheuer schöne Übung. Es ist nicht immer einfach, weil wir dabei auch unseren eigenen inneren Wunden, unseren blinden Flecken und Mustern von Reaktivität begegnen. Aber es ist auf jeden Fall eine erweiternde Praxis, die etwas sehr Grundlegendes im Leben vertieft, nämlich die menschlichen Beziehungen. Und die Beziehung zu allem Leben! Im Grunde sind es nicht nur die menschlichen Beziehungen, sondern auch die zum gesamten Universum, denn wir existieren nur als Beziehungswesen.

Thomas Hübl

Video auf Englisch

 

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