Meine Bestimmung im Leben
Es ist wichtig, zu sehen, ob ich meine Bestimmung spüren und mit meinem Körper fühlen kann.
Wenn ich anfange, darüber zu nachzudenken, zeigt mir das, dass ich es nicht fühlen kann. Denken erwächst aus der Verbindung mit dem Fühlen. Es ist wie ein Blumenstrauß, es kommt mit dem Fühlen und dem Spüren. Ich fühle mich, und ich kann denken, als eine Funktion.
Wenn mein Geist und mein Körper, mein Verstand und mein Herz getrennt sind, dann denkt mein Verstand ÜBER mich, er steht darüber. Das ist bereits ein Zeichen von Trennung, von Abwesenheit.
Ebenso ist es, wenn ich viel über meine Lebensaufgabe nachdenke, darüber grübele ob ich dies oder lieber das tun sollte. Und oft ist die Aufgabe mit der Karriere verbunden. Die kapitalistische Version von Bestimmung ist: was ist meine Karriere?
Das mystische Wissen sieht die Bestimmung nicht so. In der Mystik ist die Bestimmung der Ausdruck meiner Intelligenz plus die Integrationskapazität, die nötig ist, um diesen Zweck so weit wie möglich in der Welt zu manifestieren. Es läuft also immer zweigleisig. Es ist nicht nur mein Ausdruck in der Welt, es ist der Ausdruck plus die Integrationskraft, die meine Aufgabe ist. Es ist das Umschreiben meines Blueprint, so dass ich meine Lebensaufgabe erfüllen kann.
Wenn ich mich frage, was meine Bestimmung ist, kann ich natürlich Dinge visualisieren. Und manchmal bekomme ich durch einen inneren Dialog innovative und kreative Ideen. Und ich kann Dinge aufschreiben, ich kann so etwas wie kreatives Schreiben praktizieren, oder kreative Gespräche über meine Bestimmung führen.
Aber es ist genauso wichtig, zu sehen, ob ich meine Bestimmung spüren kann, ob ich meine Bestimmung durch meinen Körper fühlen kann. Damit mein Denken nicht der Bypass, die Umgehungsstraße zu dem ist, was ich nicht fühlen kann.
Und wenn ich es nicht fühlen kann, dann ist das genau der Punkt, an dem ich ansetzen kann. Nicht-Fühlen ist kein Fehler, das ist mein Weg! Es zeigt mir genau meine innere Dissoziation von meinem Willen. Und wenn ich mich von meinem Willen abgespalten habe, dann war es zu einem bestimmten Zeitpunkt hochintelligent, dass ich das so getan habe.
Das Entwickeln einer Lebensperspektive ist natürlich auch ein kognitiver Prozess, denn die kognitive Erkenntnis ist Teil davon, definitiv. Aber es ist ebenso ein Prozess der Sinnfindung und Sinngebung – es ist das, was Sinn macht.
Sinn entsteht, wenn der Körper in Verbindung mit dem Verstand und mit den Emotionen schwingt. Interpretation ist das Nachdenken darüber mit dem Kopf. Wenn etwas Sinn macht, ist es wahr und sinnhaft in meinem Körper, es ist wahr in meinen Emotionen, es macht Sinn in meinem Verstand und es ist sinnhaft in meinen Beziehungen. Wenn etwas Sinn macht, dann ist wahr und ist stimmig in all diesen Dimensionen.
Weiterhin hat Bestimmung auch einen Beziehungsaspekt. Es gibt keine Bestimmung nur für mich allein. Es ist nicht ‚MEINE Bestimmung‘. Nein, meine Bestimmung macht nur gemeinsam mit dir Sinn. Meine Lebensaufgabe macht allein keinen Sinn.
Bruce Springsteen sagte mal in einer Show am Broadway: ‚thank you for providing me with purpose‘ (danke, dass ihr mir Sinn gegeben habt). Das ist ein erstaunlicher Satz, sehr wahr! Es ist, als ob das Publikum, jeder, der zu einem Konzert kommt, Teil dieser Bestimmung ist. Es gibt keinen Bruce-Springsteen-allein-Bestimmung, oder die von irgendjemand anderem.
Wir sind alle Teil der Bestimmung des anderen. Es ist immer ein interdependentes System. Es gibt ‚meine Bestimmung‘ als solche nicht. Die Entwicklung von Bestimmung, das Finden der Lebensaufgabe, ist ein dialogischer Prozess, der in Bezug auf die Welt Sinn macht.
Dann ist es wahr in allen vier Richtungen des Kreuzes: in der Zukunft, in der Vergangenheit und auf der horizontalen Linie, in der Welt von jetzt und heute.
(Thomas Hübl – Transcript aus dem Mystic Café Mai 2021, editiert von Ina Krause)
Das Video auf Englisch: