Ich schreibe diese Zeilen aus meiner 14-tägigen Heimquarantäne in Israel wegen des Coronavirus. An dem Tag, an dem ich aus den USA zurückkehrte, wurde von der israelischen Regierung eine internationale Reisebeschränkung erlassen. Darin wurde bestimmt, dass sich alle Reisenden, die in den USA an Versammlungen mit 100 oder mehr Personen teilgenommen haben, in Quarantäne begeben müssen. Da wir dort gerade das Meditationsretreat des Timeless Wisdom Trainings abgehalten haben, bin ich von dieser Regelung betroffen. Mir geht es gut und ich habe keine Symptome.
Die Situation in der Welt jetzt ist auch eine gute Gelegenheit für uns als Gemeinschaft, uns angesichts der aufgewühlten Situation im Außen in einem Prozess der intensiven Selbsterforschung zu begeben. Wir können uns dafür entscheiden, unser Bewusstsein zu schärfen, uns gegenseitig zu unterstützen und zusammenzuarbeiten, und neue Visionen zu entwickeln und zu integrieren. Es ist eine Chance für alternative Wege des Denkens, Fühlens und Handelns, und des Zusammenkommens.
Die erste Frage ist immer: „Wer bin ich in Bezug auf die aktuelle Situation?“ Bevor ich mich auf philosophische und politische Erkundungen begebe über die Welt und die Art und Weise, wie die Situation von Regierungsinstitutionen gehandhabt wird, kann ich mich einfühlen und sehen, ob ich die Situation in mir selbst wirklich abbilden kann. Was fühle ich und wer bin ich als Mensch in dieser Situation? Sobald ich mir dessen bewusst bin, kann ich mich weiter hinausbewegen und mich auf die weiteren Umstände beziehen.
Wir leben in einer Zeit, in der große Reinigungsprozesse uns zeigen, wie massiv die kollektive Angst ist, die entsteht. Wenn wir dieses Verständnis mit Präsenz verbinden, ist es ein erstaunlicher Moment für die Menschheit, unsere Erdung und die Verbindung zu unserer Verkörperung zu vertiefen. Ohne Präsenz habe ich nur Angst und überlasse der Angst, meine Entscheidungen zu treffen. Oder ich bin distanziert und vermeidend, und spiele das Geschehen einfach herunter. Beide Reaktionen schränken mein volles Engagement und mein Potenzial ein.
Darüberhinaus sehen wir, dass unser kollektives Gefäß, die Formen, die wir uns als Menschheit gegeben haben, noch nicht stark genug ist, um das derzeitige globale Wachstum zu beinhalten. Wir müssen immer die Grundlage und die Verkörperung unseres Einsatzes und unseres Wachstums stärken, sowohl als Kollektiv als auch als Individuen.
Wenn dieses Zusammenspiel gut synchronisiert ist, stehen Natur und Geist in einem guten Verhältnis zueinander. Wenn wir uns selbst voraus sind, wird uns das Leben zurückrufen. Das ist eine weitere Botschaft der gegenwärtigen Situation in der Welt. Wir müssen vor allem die globale Expansion, die globale Zusammenarbeit und die explosionsartige technologische Entwicklung integrieren, da sie noch nicht mit unserer Fähigkeit, sie zu verkörpern, synchronisiert ist.
Eine kollektive Krise braucht eine kollektive Antwort. Die kollektiven Traumaschichten werden in Zeiten starker Unsicherheit reaktiviert. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um alle inneren Praktiken anzuwenden, mit denen wir uns ausgestattet haben.
Die globale Situation zeigt die Zerbrechlichkeit unserer Welt – unsere tiefe Verbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit wird überdeutlich. Auch wenn es oft den Anschein hat, als könnten wir alles alleine lösen, sehen wir jetzt, dass wir uns wirklich brauchen und aufeinander angewiesen sind. Die hyperindividualisierte Arroganz muss sich in eine aufsuchende Haltung und eine Art und Weise verwandeln, die uns demütiger und engagierter macht.
Was wir jetzt tun können
Es ist gut, jetzt die Menschen zu unterstützen, die im Gesundheitswesen arbeiten, und die im Moment unter sehr starkem Stress stehen, und von Überlastung bedroht sind. Jeder kann ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Nachbarn anrufen und diejenigen unterstützen, die am stärksten von der Situation gefordert werden, und die das höchste Infektionsrisiko haben.
Der Schutz älterer Menschen und von Menschen mit einem geschwächten Immunsystem ist ebenso vorrangig. Wir als Gemeinschaft können neue Wege finden, um den Teil der Bevölkerung zu schützen, der durch das Virus stärker gefährdet ist. Wir sind jetzt aufgerufen, alternative Möglichkeiten zu finden, Kontakte zu knüpfen und Beziehungen zu pflegen, auch und besonders wenn die äußere Bewegungs- und Reisefreiheit eingeschränkt ist.
Dies ist eine Zeit, sich der inneren Verletzlichkeit bewusst zu werden, sich wirklich zu engagieren und verantwortungsvoll zu handeln. Als Weltgemeinschaft können wir sehen, wie das „Gespenst“ unserer kollektiven Ängste überhand nehmen kann, und zum Erleben von mehr Getrenntsein führen kann. Diese Krisen-Situation kann aber ebensogut auch eine Gelegenheit sein für eine neue Ebene der Heilung und Integration.
Dies ist die Zeit, in der wir die spirituelle Praxis, die wir gelernt haben, wirklich in unser tägliches Leben umsetzen können, in jedem Moment. Es ist wichtig, dass wir uns aktiv um diejenigen kümmern, die Hilfe brauchen; ob es sich nun um Familienmitglieder, Nachbarn, Freunde oder Menschen in der Sangha handelt.
In dieser Zeit sollten wir aus Liebe handeln, denn gerade in Krisenzeiten geht es um das Geben!
Es ist eine Zeit, in der die Verantwortung für den eigenen inneren Prozess, für unsere Ängste angesichts der Unsicherheit und der Veränderungen im Außen uns nicht darin Versinken lassen sollte. Auch sollten wir dem nicht ausweichen und es vermeiden, sondern es geht darum, in der Mitte zu bleiben, davon berührbar und verwundbar zu bleiben. Die aktuelle Situation kann ein Weg zu mehr Menschlichkeit sein, ein Anstoß um zurückzukehren zu einer Herzorientierung, und um uns zu stärker zu verbinden – sowohl nach Innen als auch nach Außen.
Thomas Hübl, 13. März 2020
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